Platon

Höhlengleichnis

 

„Stelle dir Menschen vor in einer unterirdischen Wohnstätte …

Von Kind auf sind sie in dieser Höhle festgebannt. …

Sie sehen nur geradeaus vor sich hin …

Aber aus der Ferne von rückwärts erscheint ihnen ein Feuerschein; zwischen dem Feuer aber und den Gefesselten läuft oben ein Weg entlang, längs dessen eine niedrige Mauer errichtet ist …

Längs dieser Mauer … tragen Menschen allerlei Gerätschaften vorbei …

 

Solche Gefangenen können von sich selbst wie auch gegenseitig voneinander sowie von den hinter ihnen vorbeiziehenden Menschen und Gerätschaften nichts als die Schatten gesehen haben, die durch die Wirkung des Feuers auf die ihnen gegenüberliegende Wand der Höhle geworfen werden. …

Durchweg also würden die Gefangenen nichts anderes für wahr gelten lassen als die Schatten der Menschen und künstlichen Gegenstände und auch den Widerhall der Geräusche und Gespräche würden sie den vorbeiziehenden Schatten zuschreiben.

Wenn einer von ihnen entfesselt und genötigt würde, plötzlich aufzustehen, den Hals umzuwenden, … nach dem Licht des Feuers emporzublicken … und wenn man ihn nun zwänge, sein Auge auf das Licht selbst zu richten, so würden ihn doch seine Augen schmerzen …

 

Wenn man ihn nun aber von da gewaltsam durch den … Aufgang aufwärts schleppte und nicht eher ruhte, als bis man ihn an das Licht der Sonne gebracht hätte, würde er diese Gewaltsamkeit nicht schmerzlich empfinden und sich dagegen sträuben? …

Zuletzt dann würde er die Sonne, nicht etwa bloß Spiegelungen derselben im Wasser … in voller Wirklichkeit … schauen und ihre Beschaffenheit zu betrachten imstande sein.

 

Wenn ein solcher wieder hinabstiege in die Höhle und dort wieder seinen alten Platz einnähme, würden dann seine Augen nicht förmlich eingetaucht werden in Finsternis. Und wenn er nun wieder … wetteifern müßte in der Deutung jener Schattenbilder, … würde er sich da nicht lächerlich machen und würde es nicht von ihm heißen, sein Aufstieg nach oben sei schuld daran … und schon der bloße Versuch, nach oben zu gelangen, sei verwerflich? …

 

Platon im siebten Buch seines Hauptwerkes Politeia (427–347 v. Chr.)